New Work State of Mind

"It was so easy
livin' day by day

Out of touch with
the rhythm and blues."

 

So heftig der Begriff „New Work“ gerade Fahrt aufnimmt, so heftig sind auch sein Missbrauch, die vielen Fehldeutungen und nicht zuletzt seine Buzzwordisierung als Überschrift für alles, was Unternehmen jetzt irgendwie anders machen beziehungsweise in den Augen einer ganzen Beraterhorde anders machen sollen. Höchste Zeit, etwas dazu zu schreiben. Fangen wir doch an mit dem, was New Work aus meiner Sicht nicht ist.

Es ist kein Marketing-Tool, um als Unternehmen hipp zu wirken.

Es ist keine Ausrede, um Mitarbeiter*innen mehr arbeiten zu lassen.

Es ist keine Methode, um Orientierungslosigkeit als „agile“ zu verkaufen.

Es ist kein Freibrief für Führungskräfte, Verantwortung zu delegieren.

Es ist keine Erfindung von Berater*innen des 21. Jahrhunderts

Das ist doch alles nicht neu


Schauen wir doch zunächst nochmal kurz in die Geschichtsbücher. "Neue Arbeit" im eigentlichen Sinne ist ja keine Erfindung unserer Zeit. In vielen Epochen hat sich Arbeit verändert. Die vorletzte große Veränderung war die industrielle Revolution. Noch bis weit ins 18. Jahrhundert hatten die meisten Europäer*innen ihr Geld in der Landwirtschaft verdient. Dann kamen die Dampfmaschine, die Elektrifizierung und die Eisenbahn. Und plötzlich mussten oder durften die meisten Menschen in Fabriken oder auf großen Baustellen arbeiten. Die Industriegesellschaft war geboren.

Foto: wikipedia

Dann kamen die beiden großen Weltkriege und anschließend das Wirtschaftswunder bzw. der Wiederaufbau. Darauf wiederum folgte die Entwicklung hin zu einer sogenannten Service- und Dienstleistungsgesellschaft. Was unausweichlich war, weil es alle Produkte bereits mehrfach gab und die Unternehmen sich nun durch Service abgrenzen mussten (Funfact: Ungefähr in dieser Phase entstand auch die Werbebranche). Gleichzeitig wurden Menschen in der Produktion durch die Automatisierung zunehmend überflüssig (Ja, das ging damals schon los!). Der Rest der industriellen Arbeitsplätze wurde im Zuge der Globalisierung dann in Billiglohnländer ausgelagert.

In der Folge wurden die Menschen nun umgeschult und ausgebildet zu Verkäufer*innen, Servicemitarbeiter*innen, Vertreter*innen, Berater*innen oder Produktmanager*innen. Die Arbeit veränderte sich also erneut fundamental. Dieses Mal wechselte sie aus den Fabriken in die Büros, an die Schreibtische und in die Firmenwagen des Außendienstes. Und dann kam die nächste Evolution in Form der Computer und schließlich die immer rasanter werdende Digitalisierung.

Die Geschichte der Zukunft


Viele betrachten Wirtschaft ja gerne als rein monetäres Phänomen. Was natürlich kompletter Blödsinn ist. Denn es hängt alles mit allem zusammen. Jede große Veränderung hat auch soziale, kulturelle und gesundheitliche Folgen. Weil wir immer noch Menschen sind und keine Produktionsfaktoren.

Der Zukunftsforscher und Buchautor Erik Händeler hat das bereits vor Jahren sehr klar in seinem Buch „Die Geschichte der Zukunft“ beschrieben und bringt es in diesem Video von unserem Freund Lutz Berger auf den Punkt. Seine wichtigste Aussage: „Jede Veränderung unserer Arbeitswelt braucht neue Management-Methoden und Organisationstrukturen und neue Bildungsanforderungen.“ Und um die Verflechtung noch deutlicher zu machen, fügt er hinzu: „Die Gewerbeschulen beispielsweise sind im Zuge des Eisenbahnbaus entstanden. Die Technischen Universitäten während der Elektrifizierung. Wenn man also wirtschaftlich wieder auf die Füße kommen will, dann muss man in allen Lebensbereichen ansetzen. Kindergarten, Schule, Gesundheit, Firmenkultur und Kultur allgemein. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

Erik Händeler ist Spezialist für die Wirtschaftstheorie der langen Strukturzyklen von Nikolai Kondratjew. Damit bietet er einen anderen Blick auf die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Zu Beginn im folgenden Video erklärt er, was es damit auf sich hat.

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"But now I need a little
give and take
."

Wir sind nicht allein!


Zurück in die Gegenwart. Aktuell erleben wir die Auswirkungen der nächsten epochalen Veränderung unserer Arbeitswelt. Gerade erst hatten wir uns alle damit abgefunden hatten, an schicken Computern in Büros oder im Café Daten zu beaufsichtigen und Bullshit-Jobs zu erledigen. Und schon ist es wieder vorbei. Wir sind angekommen in der Wissensgesellschaft. Das bedeutet, unsere Produktivität hängt in Zukunft nicht mehr davon ab, wer viele Daten speichern oder verarbeiten kann, sondern wer aus ihnen die richtigen Schlüsse zieht.

Was wir uns nun bei aller Panik immer wieder vor Augen führen müssen: Wir sind nicht allein! In Zeiten digitaler und globaler Vernetzung heißen die Zauberwörter Kollaboration, Co-Working, Co-Creating, Crowdwisdom, Crowdfunding und Co-Owning. Teilen ist das neue Besitzen. Nicht nur beim Car-Sharing. Wir müssen uns zusammentun und globale Lösungen finden. Zum Beispiel, wie wir bald 10 Milliarden Menschen ernähren, ohne die letzten Ressourcen zu verbrauchen und wie wir die bereits tobende Klimakrise überleben.

Foto: https://stock.adobe.com

Das Problem ist: Zu alledem hat uns niemand ausgebildet. Noch immer lehrt man an den Schulen und Universitäten das, was gestern und vorgestern wichtig war. In der guten alten Zeit. Als wir den Planten und die dritte Welt noch bedenkenlos ausbeuten und unseren Wohlstand darauf aufbauen konnten. Aber auch die Politik hängt noch in der Murmeltier-Dauerschleife. Kein Tag vergeht, an dem die Regierung nicht den drohenden Verlust von „Arbeitsplätzen“ als Argument benennt, warum sie nichts Neues und Sinnvolles beschließen und anschieben können.

Der Vater von New Work


Genau so entstand übrigens der Begriff „New Work“. Vater der Idee ist der österreichisch-amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann. Geboren wurde die Idee in den 1980er Jahren mitten in der Krise der amerikanischen Autoindustrie, als durch Automatisierung die Hälfte der Arbeitsplätze wegfallen sollte. Bergmann hatte eine bessere Idee.

Dazu zitiere ich aus einem sehr guten Artikel des Magazin t3n von März 2019: „Statt wegen der Automatisierung die Hälfte der Arbeiter zu entlassen, und damit die „halbe Stadt arbeitslos und die andere Hälfte überarbeitet“ zu machen, sollte GM lieber einen „horizontalen Schnitt“ wagen: Alle bleiben, arbeiten aber nur noch sechs Monate im Jahr. In den anderen sechs Monaten, so Bergmann, sollten die Arbeiter ins Zentrum für Neue Arbeit kommen, um herauszufinden, was sie „wirklich, wirklich wollen“. Das Zentrum für Neue Arbeit würde ihnen dabei helfen, damit tatsächlich auch Geld zu verdienen.“

Das war alles. Das war der Ursprung von New Work. Jetzt macht euch selbst ein Bild von dem, was euch abertausende „Berater*innen“ da draußen jeden Tag mit irgendwelchen Buzzwords wie agile, scrum oder lean verkaufen wollen.

 

Frithjof Bergmann (Foto: wikipedia)

Bergmann selbst reagiert übrigens sehr verschnupft auf das, was aus seiner Idee geworden ist. In einem Interview mit Haufe sagte er 2018: „Ich ärgere mich nicht nur ein bisschen, sondern ich ärgere mich sehr, sehr tüchtig. Dafür habe ich schon fast ein geflügeltes Wort geprägt: Lohnarbeit im Minirock. Für viele ist New Work etwas, was die Arbeit ein bisschen reizvoller macht. Und das ist absolut nicht genug.“


"Some folks like
to get away,
Take a holiday
from the neighborhood
."

Kollaborativ und auf Augenhöhe


Ja, das ist alles nicht schön. Wie in jedem Umbruch. Wer behauptet, wir kommen durch diesen fundamentalen Wandel einfach so durch, während wir ein bisschen auf Facebook surfen, den Ryanair-Flug fürs Wochenende nach Malle buchen, die neueste Netflix-Serie schauen und dabei genüsslich in unserer Avocado-Brot beißen, der lügt. Und ja ich weiß, das klingt aus einer privilegierten Position wie meiner fast zynisch, aber wir müssen die Arbeitsplätze verlieren, damit sie woanders entstehen können.

Wir müssen Banken sterben lassen, weil sie keiner mehr braucht. Wir müssen wieder regionaler und lokaler agieren, weil wir sonst von globalen Playern wie Amazon, Nestlé und Google regiert werden. Wir müssen in vielen Bereichen neu denken, weil die Gesellschaft immer älter und damit weniger mobil wird aber nicht alle in Städten mit guter Nahversorgung wohnen können. Wir müssen Nationalisten und Isolationisten verhindern, weil uns die Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge sonst überfluten und zu Recht zur Verantwortung ziehen. Wir müssen Rohstoffe und Energie drastisch verteuern, weniger Fleisch essen, neue autonome Mobilität umsetzen und damit endlich die Ära des Individual-Verkehrs beenden, damit wir überleben.

Auf all das müssen wir uns jetzt fokussieren. Und zwar gemeinsam. Als Menschheit. Kollaborativ und auf Augenhöhe. Und genau dazu brauchen wir neue Methoden der Zusammenarbeit. Das ist kein Luxusproblem, dem wir uns aus Langeweile widmen. Da geht es nicht um Kickertische oder Barcamps. Die Wahrheit ist so simpel wie grausam: Entweder wir lösen das oder das wars.

Das ist der Grund, warum NewWork in seiner ursprünglichen Form und Bedeutung gerade so wichtig und dringend wird. Diese Sozialutopie eines klugen Philosophen aus den 80er Jahren des letzten Jahrtausends könnte uns retten. Wenn wir die richtigen Schlüsse ziehen und endlich anfangen.

In zwanzig Minuten alles erklärt


Erst kürzlich durfte ich den ersten New Work Summit in Mannheim moderieren. Und als Keynote-Speaker stand Markus Väth auf dem Programm, den ich bis dahin erstaunlicherweise noch nicht kannte. Das sollte sich nachhaltig ändern. Sein Mitschnitt ist auf YouTube und trotz der etwas schlechten Tonqualität eine absolute Empfehlung. Markus hat diese komplexe Thematik einfach großartig unterhaltsam, klug und verständlich auf 20 Minuten eingedampft. Ich bin bei dem Thema sicher kein Anfänger, aber ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, es wirklich begriffen zu haben.

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"I know what I'm needin',
and I don't want to waste more time
."

Was wir wirklich wirklich wollen


Abschließend kann man also sagen, dass wir bei "New Work" mitnichten von einer völlig neuen Idee reden. Erfunden hat den Begriff Frithjof Bergmann in den 1980er Jahren. Sein Ziel war es aber nicht, wie das aktuell geschieht, Organisationen oder Unternehmen umzukrempeln und von Scrum-Mastern führen zu lassen. Er wollte, dass Menschen nach Jahrzehnten der Fließbandarbeit endlich das tun, so wörtlich "was sie wirklich wirklich wollen" (ja, den Ohrwurm der Spice Girls hatte ich auch sofort) und damit am Ende Geld verdienen. Er hatte die Hoffnung auf weniger Konzerne und mehr Selbständigkeit, weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwortung und vor allem auf "Weniger Sollen. Mehr Wollen".

Das wiederum erinnert mich an eine Straßenumfrage, die ich 2009 für die Triodos Bank gemacht habe. Die Frage lautete "Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?". Die meisten Menschen, die ich mit der Frage damals spontan (nein, da war nichts gestellt) konfrontiert habe, hatten darauf wunderbare Antworten parat. Das einzige, was sie offensichtlich davon abhält, das wirklich zu tun, ist die "Alte Arbeit" also das, was wir immer noch "Lohnarbeit" nennen.

Schaut es euch an.

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Ich war damals sehr berührt, für welche Dinge sich Menschen engagieren würden. Genau so hatte sich das Frithjof Bergmann gedacht. Aus der Kombination von einer Art Grundeinkommens mit klugen Inkubatoren, also kollaborativen Workplaces mit individuellem Coaching, könnte daraus echt was werden. Viele Selbständige, die angstfrei (nicht nur für sich) "Neue Arbeit" entwicklen.



"It comes down to reality,
and it's fine with me
cause I've let it slide
."

Zeit für neue Pfadfinder


Ich finde ja, es ist an der Zeit, das weiterzudenken und endlich gemeinsam umzusetzen. Seid Ihr dabei? Dann hätte ich da eine ganz konkrete Idee. Wer jetzt also total angefixt ist und aktiv werden will, dem sei die vielleicht wichtigste und klügste Veranstaltung zu diesem Thema empfohlen. Ich bin mit den Macher*innen befreundet, weiß daher schon, was sie vorhaben und habe mich bereits angemeldet. Frithjof Bergmann selbst wird zwar nicht dort sein, aber sein Geist und viele Menschen, die verstehen und weiter entwickeln, was er gedacht hat.

Hier gehts lang Pathfinder // Das Festival


Eingeblendete Zitate aus New York State of Mind von Billy Joel.

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