Ab in den Warenkorb

von Peter Breuer

Das Internet ist nah. Viel näher als jedes Einzelhandelsgeschäft. Es ist omnipräsent, auch spätabends nach drei Gläsern Wein noch geöffnet und die Regale sind stets prall gefüllt. Das Geheimnis des Onlinehandels ist es, mit farbigen Pixeln eine direkte Verfügbarkeit von Waren zu simulieren, deren Logistik zu großen Teilen überhaupt noch nicht stattgefunden hat. Schließlich hebt Bargeldlosigkeit der Transaktionen die Bezahlung aus dem gelernten Akt eines wohl abgewogenen Tauschgeschäfts in eine abstrakte virtuelle Ebene: Das Dopamin der Vorfreude wird bereits mit der Bestellung ausgeschüttet, während der Trennungsschmerz vom eigenen Zahlungsmittel nur auf dem Konto stattfindet. Emotional wird diese Abbuchung schließlich mehr der Bank als dem eigenen Kauf zugeordnet. Gar nicht so dumm, dieser Mechanismus.

Der Einkauf im Internet, so reden wir uns ein, spart Zeit, Nerven und sogar Geld, denn plötzlich können wir – ohne von Geschäft zu Geschäft zu laufen – ganz transparent die Preise vergleichen. Mit der maximalen Sicherheit, das nun aber wirklich absolut amtlich beglaubigte Optimalprodukt zu erstehen, weil jeder popelige Wasserkocher mindestens in vier Testportalen zu finden ist. Ganz zu schweigen von den 147 Rezensionen auf Amazon, deren Lektüre aufgrund der kreativen Rechtschreibungen Stunden dauern würde. Zum Schluss verschlingt die Kaufentscheidung für einen profanen Wasserkocher fünf Stunden und weil unser Belohnungssystem nach dieser Anstrengung nach mehr verlangt, legen wir noch wahllos irgendwelchen anderen Plunder in den Warenkorb. Zur Not kann man das Zeug ja zurückschicken. Die Postfiliale ist zwar ein gutes Stück entfernt, aber mit dem Auto ist das kein Problem.

Das Angebot im Onlinehandel ist naturgemäß breiter als im Einzelhandel, weil die virtuellen Regale nach links und rechts unendlich erweiterbar sind und vor diesem Angebot stehend, entsteht der selbstgemachte Stress zwischen unserer Entscheidungsschwäche und dem Wunsch, die eigene Habe möglichst individuell und repräsentativ zusammenzustellen. Seltsamerweise ist der Begriff des „kuratierten“ Lebens jünger als das Internet.

Andererseits gelten im Onlinehandel dieselben Gesetzmäßigkeiten wie im realen Leben: Was viele wollen, ist schneller rar. Zum Beispiel dieser rahmengenähte Pferdelederschuh, von dem ich eines Nachts unvermittelt glaubte, ihn immer schon gesucht zu haben. Der aber beim Marktführer nur noch sehr klein oder sehr groß vorhanden war. Auch bei der zweiten und dritten bekannten Adresse im Netz – Fehlanzeige. In einer künstlich gesteigerten Verzweiflung kopierte ich die Artikelnummer in das Suchfeld von Google und siehe da: Ein englischer Versender führte den Schuh in genau meiner Größe. Die Seite sah seriös aus und war mit allerlei Gütesiegeln der uneingeschränkten Vernunft ausgestattet. Überraschenderweise kam die Antwort auf meine Kreditkartenzahlung nicht aus Großbritannien, sondern aus China.

Beim zweiten Hinsehen wirkten auch die Gütesiegel der uneingeschränkten Vernunft merkwürdig gebastelt. Nur vier Wochen später kam tatsächlich Post aus China. Ein chemisch riechender Plastiksack, der zusätzlich zum Kaufpreis gegen 45 Euro Zollgebühren am anderen Ende der Stadt ausgelöst werden musste. Darin: 1 Paar Nylontreter mit hauchdünnen Kunststoffsohlen und chinesischen Schriftzeichen, Warenwert circa 2 Euro. Die vermeintlich seriöse englische Internetseite gab es da schon längst nicht mehr.

Ich habe das für mich als Buße genommen und mein Einkaufsverhalten kritisch hinterfragt: Brauche ich wirklich alle fünf angesagten Bücher über Minimalismus, obwohl sie mir das Cross-Selling-Tool von Amazon so mundgerecht empfiehlt? Oder ist es nicht vielleicht sogar schlauer, gar keines davon zu kaufen, weil ich ohnehin ahne, was in jedem einzelnen steht? Nämlich unter anderem vermutlich, auf die innere Stimme zu hören, die ziemlich vernünftig sagt: Macht dich das jetzt wirklich glücklicher? Wird dieses Buch deinen Alltag besser machen oder generiert es nicht lediglich neuen Stress, weil du eine Verpackung entsorgen musst, weil du es in dein Bücherregal quetschen musst und es dch von dort aus mahnend ansieht, weil du gar nicht die Zeit haben wirst, es zu lesen?

Natürlich bestelle ich immer noch manches online, aber inzwischen genieße ich es, im stationären Einzelhandel das zu kaufen, was ich wirklich brauche. Ohne stundenlange Vergleiche anzustellen, ohne den Frust, den Paketboten verpasst zu haben und die Bestellung in der Postfiliale abholen zu müssen.

Vielleicht gibt es ein japanisches Kochmesser, das der Solinger Klinge aus dem kleinen Haushaltswarengeschäft in der Seitenstraße überlegen ist. Bestimmt sogar. Aber der Besitzer des Geschäfts war mir sympathisch und hat mir eine Anekdote aus seinem Laden erzählt, die mir jedes Mal ein Grinsen ins Gesicht zaubern wird, wenn ich dieses Messer benutzen werde. Ich weiß, dass ich damit für einen langen Zeitraum Spass haben werde und das ist gut so – die lange Suche nach dem Ultimativen ist der natürliche Feind meiner Lebensqualität.

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