Tief im Süden

Da, wo die Häuser eher klein sind. Dort, wo man sich um die Umwelt und umeinander kümmert. An diesem friedlichen Ort, wo nicht nur das Wetter immer etwas freundlicher ist als im Rest der Republik. In dieser Stadt, die mir durch die Arbeit meines Vaters an der Musikhochschule schon so lange vertraut ist, in der ich später selbst während meiner Ausbildung gelebt habe, gibt es einen ganz besonderen Fußball-Verein. „Es ist ein kleiner Verein, aber ein großer in seinem Wesen“, wie es Trainer Christian Streich so schön sagte. Ich würde noch weiter gehen. Der SC Freiburg ist für mich nicht mehr und nicht weniger als die Blaupause für einen bessere Welt. Ich möchte versuchen, euch mit diesem Artikel zu erklären, warum das so ist. Moment! Blaupause? Ist das Fokusthema nicht ROT? Etwas Geduld bitte. Kommt doch jetzt.

© Robin Thomas

Die Hauptfarbe des SC Freiburg ist Rot. Schon klar, das ist sie bei vielen Vereinen. Und doch steht die Farbe bei keinem anderen Verein so sehr für Liebe und Herzblut. Denn der SC Freiburg ist besonders. In ganz vieler Hinsicht. „Mehr als Fußball“ lautet der Claim und er könnte treffender kaum sein. Der Verein spielt nicht nur schön und erfolgreich Fußball, er engagiert sich auch für eine Vielzahl nachhaltiger und relevanter Projekte.

So zum Beispiel auch im Sponsoring. Unter dem Label „FAIR ways ‒ Wir übernehmen Verantwortung“ versammelt der Verein Partner, die sich wie der SC Freiburg aktiv dem Thema Nachhaltigkeit stellen: im Bereich Bildung und Ausbildung, durch die Förderung und Nutzung regenerativ erzeugter Energien oder beim Engagement für Umwelt und Klimaschutz. Kurz also: durch ihr Engagement für einen verantwortlichen Umgang mit vorhandenen Ressourcen.

Aber auch im Sport geht es tief im Süden nicht in erster Linie um Siege, Punkte, Meisterschaften und schon gar nicht um Geld. Es geht um eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben: die Suche nach und die nachhaltige Ausbildung von Talenten. Sowohl die Motivation als auch die Wirkung gehen dabei weit über den reinen Fußballnachwuchs hinaus. So steht auf der Internetseite des Vereins Folgendes zu lesen:

„Fußball leistet bei Kindern und Jugendlichen, die im Verein aktiv sind, einen wichtigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Unter den Maßgaben des Fair Play wird dort auch soziales Verhalten eingeübt. Das hilft dem Einzelnen, Ängste und Unsicherheiten abzubauen, und stärkt das Selbstbewusstsein und die Bereitschaft, solidarisch zu handeln. Kinder und Jugendliche lernen zu gewinnen und zu verlieren und dabei den Respekt vor Mitspielern und Gegnern zu bewahren. Das schafft und festigt Denk- und Handlungsmuster, die auch jenseits des Fußballfeldes Gültigkeit besitzen.“ (Quelle: SC Freiburg)

Der rein sportliche Erfolg, den der SC mit seiner 2001 gegründeten Fußballschule seit Jahren erzielt, spricht ebenso für sich. „Schon 2009 standen im SC-Profikader beim Wiederaufstieg in die Bundesliga 12 Spieler aus der eigenen Ausbildung, fünf von ihnen zählten zum engeren Stamm des Aufsteigers. Sechs selbst ausgebildete Stammspieler waren drei Jahre später dabei, als dem SC auf spektakuläre Weise der Klassenerhalt in der Bundesliga glückte. Im gesamten Kalenderjahr 2012 setzte der Sport-Club acht seiner ehemaligen Fußballschüler in der Bundesliga ein ‒ mehr als jeder Konkurrent im deutschen Fußball-Oberhaus. Beim Remis gegen Bayern München am vierten Spieltag der Saison 2013/2014 standen acht Spieler auf dem Platz, die in der Freiburger Fußballschule ausgebildet worden sind.“ (Quelle: SC Freiburg)

„Nirgendwo anders kann man junge Spieler einfach ins kalte Wasser werfen. Unser Publikum lässt das zu, das macht mich froh“, sagt Christian Streich. Und er beschreibt damit einen der wesentlichsten Aspekte des sogenannten „Freiburger Wegs“. Bei uns gibt es kaum Erfolgsfans. Verein, Spieler und Fans bilden eine verschworene Gemeinschaft, die miteinander durch dick und dünn geht. Nicht zuletzt aus diesem Vertrauen ist in Freiburg eine Wertegemeinschaft erwachsen, die sich ein wenig anfühlt wie die Hobbits im Auenland.

Während die Welt immer mehr zu Mordor wird ‒ einem unwirtlichen Ort, an dem es scheinbar nur noch darum geht, wer am lautesten schreit, die stärksten Waffen und das meiste Geld besitzt ‒, zählen im „Auenland“ noch wahre Werte. Menschlichkeit, Nachhaltigkeit, Demut und die (fast kindliche) Freude am Fußball. Und während heute in der Bundesliga immer öfter Vereine auftauchen, die von Milliardären oder Unternehmen mit sinnlos viel Geld in kürzester Zeit künstlich „hochgezüchtet“ und vermarktet werden, wurden die fast mittellosen Hobbits um den Zauberer „Gandalf“ Streich im vergangenen Jahr wieder einmal in die zweite Liga zurückgeworfen. Was dann allerdings passierte, kann man in der Sportpresse und in den Geld-und-Erfolg-Clubs immer wieder nur schwer glauben.

  1. Der Trainer wurde zu keiner Zeit in Frage gestellt.
  2. Der beste Torjäger blieb trotz lukrativer Angebote anderer Vereine.
  3. Die Mitgliederzahl stieg nach dem Abstieg um fast zehn Prozent.
  4. Das Stadion war die gesamte Zweitliga-Saison über ausverkauft.
  5. Es wurden mehr Trikots verkauft. Hauptsächlich das mit der Rückennummer 18.

Apropos Rückennummer 18. Es ist in Freiburg bei Weitem nicht nur der Trainer, der den Geist dieser Wertegemeinschaft prägt und fördert. Es ist das gesamte Team. Da gibt es zum Beispiel Menschen wie Nils Petersen, der mitten in der Saison als Leihgabe aus Bremen kam, in zehn Spielen neun Tore für Freiburg schoss und dann trotz Abstieg und lukrativer Angebote anderer Vereine blieb. „In Freiburg herrscht ein absolutes Wohlfühlklima. Die Menschen sind nett und man kann in Ruhe arbeiten, auch wenn man im Abstiegskampf ist“, erzählte der gebürtige Wernigeroder der ungläubigen Presse. Und nach dem – auch ihm zu verdankenden ‒ geglückten Wiederaufstieg macht er ebenfalls keine dicken Backen, sondern zeigt echte Freiburger Demut: „Ich freue mich riesig, wieder in die großen Stadien zu kommen, hoffentlich mit dem SC für Furore zu sorgen und die Punkte für den Ligaerhalt zu sammeln.“

Klingt alles fast zu romantisch? O. k., wir waren traurig nach dem Abstieg. Klar. Wir waren enttäuscht. Wir hatten es wieder einmal nicht geschafft, den Ring ins Feuer zu werfen. Das war’s dann aber auch. Niemand hat nach Schuldigen gesucht. Im Gegenteil: Hunderte Fans empfingen die Mannschaft nach dem Abstieg bei der Rückkehr aus Hannover mitten in der Nacht vor dem Stadion. Wir haben uns also alle kurz in die Arme genommen, die Trauer abgeschüttelt, die Trikots glatt gezogen und dann wurde wieder nach vorne geschaut. Das Ergebnis ist bekannt. Bereits nach einem Jahr gelang der direkte Wiederaufstieg. Mit demselben Trainer. Mit Ruhe, harter Arbeit und Vertrauen. Und getragen von der Liebe und dem Vertrauen der Fans, die ihre Helden zu jeder Zeit bedingungslos unterstützten. In guten wie in schlechten Zeiten. Vor Kurzem traf ich vor einem Heimspiel einen älteren Herrn auf dem Münsterplatz und wir sprachen kurz über den SC. Sein Kommentar: „Bis zur Bezirksliga bleib ich Fan.“ Das ist Freiburg. Der Hashtag dazu lautet #liebekenntkeineliga.

© Stephan Morbach

Klar freut man sich beim SC Freiburg immer diebisch, wenn es gelingt, dem ein oder anderen Ork der Geldliga eine Niederlage beizubringen. Man ist sich aber auch mit großer Demut bewusst, dass Erfolg niemals von Dauer ist und man ihn sich immer wieder hart erarbeiten muss. Vor allem, weil dann doch immer wieder gute Spieler zum Ende der Saison dem Ruf des Geldes folgen. Der SC Freiburg bekennt sich zu seinem Status als Ausbildungsverein. Die Verantwortlichen um Präsident Fritz Keller haben einen langfristigen Plan, keine quartalsgetriebenen Ziele. Es geht nicht um schnelles Geld. Es geht um den wertschätzenden Umgang mit Menschen und Ressourcen.

Wenn ich sage, es geht beim SC Freiburg um „mehr als Fußball“, dann ist das übrigens keine getrennte CSR-Abteilung. Es sind immer die gleichen Akteure, die da handeln. Der Trainer zum Beispiel nimmt in der Pressekonferenz vor einem Spiel schon mal Stellung zu gesellschaftlichen Themen und ermuntert seine Spieler, per Briefwahl zu wählen, weil sie am Tag der Landtagswahl in Baden-Württemberg ein Auswärtsspiel haben. Am Ende entschuldigt er sich bei den Journalisten und sagt: „Jetzt haben wir gar nicht über Fußball geredet. Aber es gibt wichtigere Themen.“

Dazu noch einmal ein Zitat von der Internetseite: „Der Vereinsfußball hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen bei der Ermöglichung grenzüberschreitender Kontakte im Interesse der Völkerverständigung und noch mehr bei der Integration ausländischer Kinder und Jugendlicher. Gerade für sie sind Fußballvereine außerordentlich wichtige Anlaufpunkte, die den Integrationsprozess unterstützen und erleichtern.“ (Quelle: SC Freiburg)

Und dann war da noch das Spiel gegen Union Berlin im Winter 2015/2016. Da verzichtete der damalige Hauptsponsor Ehrmann auf die Trikotwerbung zugunsten einer klaren Botschaft. „Freunde statt Fremde“ stand auf der Brust der Spieler und der Fans (auch auf meiner – siehe unten). Denn das Trikot fand auch bei den Anhängern reißenden Absatz und der Erlös ging zu einhundert Prozent an den „Freiburger Flüchtlingsfonds„. Wenig später erteilt der Verein, auch auf Wunsch der Fans, der Bild-Zeitung und ihrem Pseudo-Engagement mit einem „Wir helfen“-Aufnäher eine klare Absage. „Wir wissen, dass die Bild-Zeitung nicht UNICEF ist“, ließ der Pressesprecher des SC keine Zweifel an der Einstellung des Vereins zur Hetz-und-Hass-Postille. Der Hashtag dazu: #bildnotwelcome.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern.“ Genau das ist ‒ neben der Liebe zur Stadt und dem tollen Fußball ‒ der wichtigste Grund, warum ich Mitglied in diesem Verein bin. Warum ich immer wieder mein rotes Trikot und die Glückssocken anziehe, den roten Schal umbinde, 180 Kilometer nach Freiburg fahre, mir auf der Tribüne im Schwarzwaldstadion oft den Hintern abfriere, mir die Seele aus dem Leib schreie und vor Glück Rotz und Wasser heule, wenn die tapferen Hobbits mal wieder als Sieger vom Platz gehen.

© Helge Thomas

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