Über schräge Vögel...
... die seltene Vögel beobachten
Vogelbeobachter*innen fand ich in meiner Jugend zuerst etwas schräg. Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, warum man sich stundenlang mit dem Fernglas durch Wald und Wiesen schlägt oder an Seen auf Enten wartet. Bis ich mittendrin in der Szene war und nicht mehr davon wegkam, denn Vogelbeobachtung verbindet und öffnet Perspektiven.
In die Community bin ich eher per Zufall geraten. Eigentlich wollte ich mit 15 Jahren irgendwie zur Weltrettung beitragen und mich bei Amnesty International engagieren. Die waren in meiner Kleinstadt aber nicht sehr aktiv. Daher sprach mich ein Kumpel an, der genauso wie ich von der Schule gelangweilt war, ob wir nicht eine Jugendgruppe des NABU gründen, damals noch der Deutsche Bund für Vogelschutz. Er war begeisterter Vogelbeobachter und wir Mädels aus der Klasse hatten viel Freude daran, im Vogelbuch nachzuschlagen, wie sein neuestes Sehnsuchtsobjekt aussah. Wir beschrieben dann diesen Vogel und behaupteten, wir hätten einen solchen gesehen, bis ihm vor Aufregung die Spucke wegblieb.
Selbst wenn die Vogelbeobachtung zu Beginn nicht gerade meins war, hatte es doch irgendwie etwas mit „Welt retten“ zu tun. Lange vor „Fridays for Future“ machten wir genau das, wofür heute eine Generation auf die Straße geht. Die Inhalte und Forderungen waren genau dieselben. Allerdings schwänzten wir im Zweifel für große Aktionen ohne Wissen oder Einverständnis der Lehrer*innen oder Eltern die Schule. Nach und nach erschloss sich mir die Begeisterung für die Vogelwelt und nach jedem Ausflug gab es ein großes Fest, das trug zusätzlich zur Motivation bei.
Als Verantwortliche für das Segment Naturbeobachtung bei ZEISS durfte ich Vogelbeobachter*innen aus der ganzen Welt kennenlernen. In Taiwan traf ich beispielsweise einen engagierten Rentner, der dort Besucher*innen aus aller Welt durch einen Naturpark bei Taipeh führte. Wir waren so schnell – wie mit allen anderen auf der Welt – in intensive Gespräche über Naturschutz vertieft, dass der Altersunterschied und die kulturellen Hintergründe gar keine Rolle spielten. Unsere Interessen verbanden uns so, dass uns niemand unterbrechen konnte und alle Kolleg*innen lange auf mich warten mussten, bis wir den Park wieder verlassen konnten.

Kuriositäten
Ein Engländer, ganz in Tweed gekleidet, mit Schmetterlingsnetz und Fernglas. Das Bild entsteht bei vielen im Kopf, wenn von Vogelbeobachtern die Rede ist. Ob es solche Engländer heutzutage noch gibt? Vermutlich nicht. Heute sind die Bird Watcher weltweit in Outdoor-Kleidung und mit teurer, moderner Optik unterwegs.
Der oder die ein oder andere hat eventuell den amerikanischen Film „Ein Jahr vogelfrei“ – im Original „The Big Year“ - gesehen und hält Vogelbeobachter*innen für fanatische Verrückte. Selbst wenn der Film mit den Extremen spielt, so spiegelt er doch die Welt zumindest einiger amerikanischer Vogelbeobachter*innen ganz gut. Es gibt real existierende Personen in der amerikanischen Szene, die hier ganz gut getroffen wurden. Selbst einige europäische Ornis, wie sich die ornithologisch Interessierten hier gerne nennen, fühlen sich ertappt bei dem Film, bei dem die Begeisterung für die Vogelbeobachtung wichtiger als die sozialen Bindungen wird.
Klar gibt es all die Extreme, die für Nicht-Eingeweihte befremdlich wirken. So soll ein Schwede sein Big Year in den USA, also das Jahr, in dem man versucht, so viele unterschiedliche Vogelarten als möglich auf dem Gebiet der USA zu sehen, teilweise nackt durchgezogen haben. Von den Finnen erzählt man sich in der „Birding-Community“ gerne, sie hätten eine separate Artenliste der Vögel, die sie beim Saunagang – also auch da nackt – sehen. Bestätigen wollte mir gegenüber das allerdings noch kein seriöser finnischer Vogelbeobachter.
Jenseits der Extreme
Jenseits der kuriosen Erscheinungen sind die Mehrheit der Vogelbeobachter*innen kluge, kommunikative und weltoffene Menschen. Der Frauenanteil nimmt zu und ist insbesondere in den USA relativ hoch. Unter den Top 5 derer, die die meisten Vogelarten in den USA in einem Jahr sahen, sind zwei Frauen. Grundsätzlich teilen sich die Ornis in zwei Gruppen auf: die Twitcher*innen und die Ornis mit ökologischem Selbstverständnis. Wobei das eine nicht unbedingt das andere ausschließt.
Twitcher*innen sind in ihrem Heimatland meist in einem exklusiven Club derer, die die meisten Vogelarten gesehen haben. In England tragen sie gerne eine Art Alarmierungssystem mit sich: Wird eine seltene Art irgendwo auf der Insel gesehen, erhalten sie einen Alert. Gerne unterbrechen sie dann auch mal ein dienstliches Meeting und flitzen gleich los zu dem „Birding Spot“ – im Zweifel mit dem Flugzeug, wenn es sich um eine Sichtung am anderen Ende des Landes handelt. Die anderen wiederum bewegen sich aus Überzeugung nur mit Zug und Fahrrad hin zu den Vögeln. In den USA hat es bislang nur ein sehr sympathischer Vogelbeobachter, namens Dorian Andersson, geschafft, sein Big Year auf dem Fahrrad und zu Fuß zu bewältigen. Dabei erlebte er, wie gefährlich es sein kann, die USA per Fahrrad komplett zu durchqueren, und legte einen kurzen Zwischenstopp im Krankenhaus ein.
Eine verschworene Community
Neben den exklusiven Clubs derer, die die meisten Vogelarten in ihrem Land gesehen haben, tauschen sich Ornis gerne über Plattformen über seltene Sichtungen aus oder reden einfach direkt miteinander. Denn unterwegs erkennt man die Profis direkt an der Optik um den Hals und in der Freizeit am weißen Streifen im Nacken, der sich von der sonst gebräunten oder geröteten Haut abhebt, denn der Riemen des Fernglases hinterlässt immer unverkennbare Spuren. Man gibt sich Tipps über die besten Spots – gerne grenzüberschreitend, wenn am Rhein französische und deutsche Ornis aufeinandertreffen. Denn kommunikativ und offen sind die meisten Ornis, selbst wenn Außenstehende das vielleicht auf den ersten Blick anzweifeln.

Das 1x1 für Einsteiger*innen
Wer in Deutschland mit der Vogelbeobachtung starten möchte, informiert sich am besten auf www.ornitho.de, wo welche seltenen Vögel in letzter Zeit in der eigenen Region gesehen wurden. Wer ganz ambitioniert ist, nimmt im Mai am jährlichen Birdrace teil, an dem alle über 2.500 Teilnehmer*innen an einem Tag so viel als möglich an unterschiedlichen Vogelarten in ihrer Region zählen. Viele Neulinge fragen nach der Beweisführung, worüber die Profis nur lächeln. Wer etwas in der Orni-Welt auf sich hält, betrügt nicht. Nur die Vogelart, die man eindeutig bestimmt hat, wird erfasst.
Wer jedoch wirklich spannende Vogelarten sehen möchte, steht besser früh auf. Agentur-Menschen eignen sich vermutlich mehr für die Fledermausbeobachtung.
- Ein Haken oder Twitch: Die Vogelart, die man gesehen hat, kommt auf die Lebensliste, die meist nach nationalen Gebieten unterteilt wird.
- Club 300: In Deutschland organisiert sich die Orni-Elite im Club 300, die also schon 300 Arten allein in Deutschland gesehen haben. In England sieht man mehr unterschiedliche Arten – bis zu 500. Und in den USA liegen die besten Birdwatcher bei 700-800 Arten.
- Lifer: So nennt man eine Vogelart, die man zum ersten Mal im Leben entdeckt. Ein ganz besonderer Moment, der Ornis für Tage selig macht.
Links:
- Wie ein Birdrace für Einsteiger*innen abläuft: https://blogs.zeiss.com/sports-optics/birding/de/das-erste-birdrace-des-lebens/
- Ein selbstironischer Blick in die Community der Vollprofis: https://www.youtube.com/watch?v=lshY9kZMIZ8
- Der Film Big Year: https://www.youtube.com/watch?v=zqHC5I634O4 – empfehlenswert ist die amerikanische Originalversion

Und wer jetzt auf den Vogelbeobachtungsgeschmack gekommen ist, kann hier mal sein Talent testen. In diesem Löss-Felsen am Kaiserstuhl lebt der seltene "Bienenfresser". Wer findet ihn?