So wirken Events – Insights aus der Eventpsychologie mit Dr. Steffen Ronft

von Beke Alberring

Wie wirken Events auf unser Gehirn? Warum bleiben multisensorische Erlebnisse besonders gut in Erinnerung? Mit diesen Fragen hat sich unsere Kollegin Ayleen, Junior Project Managerin bei ottomisu, bereits in ihrer Bachelorarbeit beschäftigt. In einem früheren Beitrag zeigte sie uns, wie Farben, Klänge, Düfte, Haptik und Kulinarik gezielt eingesetzt werden können, um Emotionen zu aktivieren und bleibende Eindrücke zu schaffen. Nach einem ersten Austausch mit Beke, Junior Consultant im Bereich Content, Creation und Design, war klar: Dieses Thema verdient mehr Raum. Dank Ayleens Verbindung zur DHBW und zu ihrem ehemaligen Dozenten und Betreuer aus Studienzeiten konnten wir Dr. Steffen Ronft – Studiengangsleiter, Autor und Experte für Eventpsychologie – für ein Interview gewinnen.

Steffen, für den Einstieg haben wir direkt eine einordnende Frage, die das Thema Eventpsychologie hoffentlich etwas greifbarer macht: Wie würdest du einem Kind erklären, was Eventpsychologie ist und warum sie wichtig ist?

Das ist eigentlich recht einfach zu beantworten: Events sind von Menschen für Menschen gemacht. Deswegen müssen wir verstehen, wie die Teilnehmenden ticken und was sie wollen, damit wir für die sie gute Veranstaltungen machen können.

Gibt es psychologische Phänomene, die wirklich nur bei Events zutreffen?

Das kommt darauf an, wie man „Event“ definiert. Klar kann man einmal über das Thema Crowd-Management reden – wenn es um große Menschenmassen geht. Diese können aber theoretisch auch an anderen Stellen auftreten. Event-spezifisch wird es aber zum Beispiel bei einem Festival, wenn man davon ausgehen muss, dass von 100.000 Menschen 30.000 alkoholisiert sind. Das sind Situationen, die man eigentlich nur im Event-Kontext hat. Grundsätzlich können die Phänomene aber – wenn wir in der Corporate-Richtung von Events bleiben – überall stattfinden. Events sind aber ein Destillat an verschiedenen emotionalen und informativen Einflussmöglichkeiten, die es zu berücksichtigen gilt.

Ist Eventpsychologie speziell für Events „entwickelt“ oder wird die allgemeine Psychologie auf den Bereich Events „angepasst“?

Wir bedienen uns der Psychologie und greifen uns das heraus, was interessant ist und arbeiten das ein bisschen um. Das können dann auch die Bereiche der Wahrnehmungs-, Emotions-, Kognitions- oder Umweltpsychologie sein. Wir müssen es am Ende greifbar machen. Es bringt keinem etwas, wenn wir einem Eventmanager sagen, da gibt es das „Journal of Environmental Psychology“ und da stehen 40 spannende Studien drin, wie Beleuchtung auf Menschen wirkt. Er hat dann weder den Zugang noch die Zeit oder das Verständnis, sich dort reinzuarbeiten. Und während wir hier sprechen, könnte ich wetten, dass fünf neue Studien veröffentlicht werden, die im Eventkontext relevant sind.

Gibt es psychologische Prinzipien, die in der Eventpsychologie besonders wichtig sind oder sich als besonders wirkungsvoll erwiesen haben?

Da gibt es zwei Themen, die auch in meinen Vorlesungen besonders wichtig sind – das wird Ayleen hoffentlich bestätigen können. Die sind leicht verständlich, schnell erklärt, in weiten Teilen intuitiv, günstig und effektiv umsetzbar.

1.    Multisensualität: Bei einem Event nehmen die Teilnehmenden die Veranstaltung über alle Sinne wahr – ob wir wollen oder nicht. Es wird auf Events immer riechen – egal ob ich das plane, nach was es riechen soll oder nicht. Das sind dann Besonderheiten, die es bei anderen Werbemedien, wie beim Radio, nicht gibt. Dort kann man keinen Einfluss darauf nehmen – wir können das beim Event schon. Wer Multisensualität bei einem Event nicht mitdenkt, hat Live-Kom eigentlich nicht vollumfänglich verstanden. Multisensorische Kongruenz, dass die Reize von der Botschaft her zueinander passen, ist hier also eine wichtige Idee.

2.    Behavior Patterns: Diese einzelnen Effekte bilden eine Art Baukasten mit knapp 200 Verhaltensmustern, die auftreten können und mit denen wir umgehen müssen oder die wir ganz gezielt triggern können. Und hier wird es bei Events ganz spannend, weil wir das Umfeld gestalten und von Beleuchtung bis hin zum Duft alles in der Hand haben – wenn wir wollen. Das ist also ein mächtiges Tool, das man einsetzen kann.

Wahrnehmung ist ja von Person zu Person unterschiedlich – da ist das Thema Zielgruppe wahrscheinlich sehr wichtig.
Inwieweit unterscheiden sich kollektive psychologische Effekte auf Events von individuellen Präferenzen der Teilnehmenden? Geht man hier lieber auf die Gruppendynamik oder die Einzelwahrnehmung ein?

Das hängt von der Zielstellung des Events und der Heterogenität der Zielgruppen ab. Je weiter die Zielgruppen auseinander liegen, desto schwieriger wird es, sie mit einer Maßnahme alle gleich zu treffen und die Erwartungen zu erfüllen. Vielleicht muss das aber auch gar nicht immer das Ziel sein. Wenn ich bei einer Produkteinführung eines Autos zeitnah Kaufabschlüsse generieren will, dann ist es sinnvoll, auf die Leute mit einer konkreten Kaufabsicht einzugehen. Da bringt es einem nicht viel, wenn ich alle gleichbehandle und die einen zufrieden nach Hause gehen, aber kein Auto kaufen und die anderen gerne ein Auto gekauft hätten, aber unzufrieden sind und es deswegen nicht getan haben. Hier wäre es also in Ordnung einen Fokus auf die Einzelwahrnehmung der interessierten Zielgruppe zu legen und für ausgewählte Gruppen Maßnahmen wie Probefahrten anzubieten.

Wie bzw. mit welchen psychologischen Prinzipien können die Motivationen und Anreize verschiedener Zielgruppen in diversen Formaten verstärkt werden?

Hier gibt es verschiedene Modelle, die prinzipiell aber aussagen, dass es drei Haupt-Triebfedern gibt, die den Menschen antreiben. Beim Züricher Modell nach Bischof sind das zum Beispiel Autonomie, Sicherheit und Erregung. Wir müssen uns also überlegen, was wir mit unseren Veranstaltungen liefern.

Wenn wir von unseren Corporate Events reden, könnte man das dann so übersetzen, dass Erregung bedeutet, dass bei der Opening Key Note irgendwas Cooles passieren muss oder dass eine Masterclass in einem geschützten Rahmen die Sicherheit abdeckt?

Ja, das kann man versuchen, aber auch hier kommt es eben darauf an, wer die Zielgruppe ist. Wenn ich eine Veranstaltung voller Kreativer habe, gehen überraschende Dinge gut – da sind Stimulanz- und Erregungsmotive ganz vorne mit dabei. Da stört sich keiner, wenn überraschend noch ein anderer Speaker auftaucht und irgendwas passiert, was „fancy“ ist. Die Zielgruppe, bei der eher Sicherheit und Balance im Vordergrund stehen, hat ein höheres Kontrollbedürfnis und weiß gerne, was passiert. Hier kommt es weniger gut an, wenn man vom Plan abweicht. Auch die Erwartungshaltung ist entscheidend – wenn ich etwas Kreatives und Aufregendes verspreche, dann muss ich das auch liefern.

Okay, weg von der Theorie und rein in die Praxis: Wie können Eventplaner psychologische Erkenntnisse in ihre Konzepte integrieren, um eine nachhaltige und positive Wirkung bei den Teilnehmern zu erzielen?

Zuerst muss man über seinen Schatten springen und sich mit dem Thema vertraut machen. Das heißt aber nicht, dass man anfangen muss, wissenschaftliche Journals zu lesen. Einfacher ist es natürlich, sich dem zu bedienen, was schon für die Branche aufbereitet ist. Im zweiten Schritt wäre es dann wichtig zu schauen, wer einen besonderen Blick auf das Thema hat und die Planungs- oder Umsetzungsschritte kontrolliert. Dinge zu reflektieren ist hier unumgänglich – egal ob intern oder mit einem Blick von außen.
Es ist auch schon viel gewonnen, wenn man sich die Visitor Journey anschaut. Das Event beginnt ja nicht erst dann, wenn die Leute vor der Bühne sitzen, sondern viel früher. Hier kann man dann mit der Eventplaner-Brille in die spezifischen Situationen reingehen und überlegen, welche Möglichkeiten und Ressourcen man hat. Dass jeder einzelne Teilnehmende eine eigene Assistenz bekommt, der die Check-In-Situation angenehmer macht, ist eher unwahrscheinlich. Aber vielleicht ist das eine Lösung für ausgewählte Top Accounts, Speaker oder Sponsoren. Dann vielleicht noch eine kurze Recherche zu der Person und von wo sie kommt, und die Person fühlt sich mit einem „Moin, Herr Müller. Wie war die Anreise aus Hamburg?“ schon zu Beginn wertgeschätzt und abgeholt. Das kostet nichts und man hat direkt einen positiven Start in die Veranstaltung.

Wie würdest du die aktuelle Nutzung von Eventpsychologie in der Praxis bewerten? Gibt es bestimmte Herausforderungen oder Hindernisse, die du siehst?

Vieles wird schon richtig gemacht und hat einen psychologischen Background, ohne dass sich Leute explizit mit Eventpsychologie beschäftigen. Bei der gezielten und systematischen Nutzung ist allerdings noch viel Luft nach oben. Bei Vorträgen haben Leute immer noch Aha-Effekte bei Dingen, die aus meiner Sicht vollkommen offensichtlich sind und über die in der Eventpsychologie schon seit 10 Jahren gesprochen wird. Wenn man zum Beispiel die Möglichkeit hat einen Messestand in zwei Varianten zu bauen und alle sind sich einig, dass eine Variante klar die bessere ist, dann auch mal zu verstehen, warum das so ist. Hier gibt es eine klare Chance zur Professionalisierung, indem man dem mit psychologischen Erkenntnissen auf den Grund geht und das „Warum“ aufklärt. Wenn man Dinge intuitiv richtig macht, sollte man analytisch herausfinden, warum und so kann man in Zukunft auf sicherer Basis Entscheidungen treffen und entsprechend argumentieren. Hier müssen einfach die richtigen Fragen gestellt werden – auch unabhängig von ökonomischen Faktoren, weil die eine Bühne vielleicht billiger ist als die andere. Also vereinfacht: „Was bedeutet es psychologisch, wenn wir die Bühne auf der anderen Seite bauen und wenn sie blau statt rot wird?“

Lassen sich emotionale Wow-Effekte auf Events mit psychologischem Background „planen“?

Planen ist vielleicht ein sehr starkes Wort, aber ich würde sagen, sie lassen sich vorbereiten. Ob es dann aber auch so eintritt, hängt dann von vielen anderen Faktoren ab. Auch das ist wieder eine Besonderheit von Events: wir haben unfassbar viele Faktoren, die gleichzeitig wirken und wovon wir nicht alle immer zu jeder Zeit kontrollieren können.
Wenn wir bei einer Wein-Probe einen Wow-Effekt um einen neuen Wein planen wollen, müssen wir bedenken, dass der Geschmack von Wein von sehr vielen Faktoren abhängt: Beleuchtung, Glas, Temperatur oder Geruchseinflüsse von außen. Wenn alle Faktoren identisch sind, aber eine Person ein starkes Parfüm trägt, kann der Wein für die Menschen neben dieser Person ganz anders schmecken als für die, die das Parfüm nicht riechen. Hier kann der Wow-Effekt bei dem einen also funktionieren und bei dem anderen nicht. Und das wegen Einflüssen, die ich nicht kontrollieren kann. Am Ende gehört also auch ein wenig Glück dazu, ob das geplante Setting funktioniert.
Es ist schwierig alle Stimuli zu kontrollieren. Man muss aber versuchen, so gut es geht zu antizipieren, was alles passieren kann. Was sind die Reize, die wir einbringen? Was sind die Reize, die vor Ort sind? Darüber sollte man sich einen Überblick verschaffen und eine Art Risikoanalyse erstellen, was so richtig schiefgehen kann.

Gibt es eine Möglichkeit, die Wirkung von eventpsychologischen Aspekten in Konzepten zu messen?

Der Klassiker ist hier mit einer Evaluation zu arbeiten, also über eine Befragung (vor Ort oder im Nachgang) die Erfolgsfaktoren herauszubekommen. Man kann aber auch mit ökonomischen Kennzahlen arbeiten und es am Ergebnis festmachen. Wenn also eine ausgewählte Anzahl an Teilnehmenden eine psychologisch optimierte Behandlung erhalten hat, ist dort die Kauf-Rate auch entsprechend höher? Und natürlich kann man auch, was technische Möglichkeiten angeht, ein bisschen weiterdenken: Facial Action Coding zum Beispiel. Eine KI-gestützte Mimik- und Gestik-Auswertung ist live natürlich sehr aufschlussreich. Generell tut sich in diesem Bereich gerade sehr viel. Vor allem wenn es darum geht, aus (Besucher-) Daten bestimmte Prognosen abzuleiten, die man dann auch zur Auswertung nutzen kann.
Im Bereichen KI und Eventpsychologie entstehen große Synergien und das bedeutet für uns mehr Möglichkeiten, psychologisches Wissen greifbar zu machen und auszuwerten, weil man viel besser mit den ganzen Datenmengen umgehen kann. Hier können sich die Psychologie und die psychologische Forschung also beschleunigen. Und Dinge, die aus der Psychologie kommen, können durch KI in ganz andere Anwendungsfälle übertragen werden, die besser zugänglich und schneller umgesetzt werden können.

Abgesehen von KI: Wie beeinflussen andere Megatrends das Thema Eventpsychologie?

Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Nachhaltigkeit. Auch hier kann die Eventpsychologie einen großen Beitrag leisten, weil ein psychologisch durchdachtes Event meistens weniger Ressourcen benötigt. Eine gute psychologische Beratung stellt prinzipiell all das in Frage, was auf dem Event passiert, weil alles im besten Fall einen psychologischen Nutzen mitbringt. Hier kann man also Dinge rausstreichen, die zwar Ressourcen kosten, aber keinen entsprechenden Mehrwert bringen würden.

Welche psychologischen Herausforderungen siehst du in der Zukunft der Eventbranche, und welche Chancen könnten sich daraus ergeben?

Auch wenn es sich nach Corona wieder gut eingependelt hat, muss man die Wertigkeit einer Live-Veranstaltung weiter kommunizieren und oben halten. Den Leuten muss klar sein, warum es sich lohnt, 4 Stunden mit der Bahn zu dieser Veranstaltung zu fahren. Dann muss man aber auch psychologisch wirksame Veranstaltungen liefern! Der Claim von ottomisu "Connecting people, brands and markets" passt da gut, denn es geht im Kern um das Zusammenkommen und gemeinsame Erleben.
Ein weiteres Problem ist das Thema Professionalisierung in einer sehr niedrigschwelligen Branche, in der sich theoretisch jeder Event Manager nennen kann. Man muss sich auch nach den aktuellen und relevanten Themen – wie zum Beispiel der Eventpsychologie – umschauen und sich fragen, wie man Dinge verbessern kann.
Und zu guter Letzt das Thema Datenschutz, was sich vor allem auftut, wenn man Daten und auch große Datenmengen mit Hilfe von KI erhebt und analysiert. Wenn man zum Beispiel Personas für seine Zielgruppe erstellt, ist es am besten, wenn ich so viel wie möglich über die Leute weiß – das hat dann den Nachteil, dass man so viel wie möglich über die Leute wissen muss. Ethisch, juristisch und datenschutz-rechtlich muss man hier also stets genau hinschauen.

Wir haben dank dir einen guten Einblick in das Thema Eventpsychologie bekommen. Beende doch zum Schluss einmal diesen Satz:
Damit Events ihre transformative Kraft entfalten (also nicht nur inspirieren, sondern nachhaltig verändern), ist es aus eventpsychologischer Sicht wichtig, dass ...

… es die Bedürfnisse und Erwartungen der Zielgruppe trifft und die Botschaft möglichst multisensual und über die verschiedenen Bereiche der Inszenierung und Dramaturgie kongruent vermittelt.

Das Gespräch mit Dr. Steffen Ronft zeigt eindrucksvoll, dass Events weit mehr sind als gute Logistik und schöne Kulisse. Sie sind ein fein abgestimmtes Zusammenspiel psychologischer Prinzipien – von Multisensualität über Zielgruppenmotivation bis hin zu datenbasierten Auswertungsmethoden. Wer diese Erkenntnisse gezielt einsetzt, kann nicht nur beeindrucken, sondern echte Veränderung anstoßen.
Für uns als Agentur ist klar: Eventpsychologie ist kein „Nice to Have“, sondern ein Schlüssel zur Wirksamkeit.

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